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Das Dritte Geschlecht im Rahmen der Betriebsratswahl

- 17. September 2022 -
Betriebsratswahlen
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Fotocredits: Photo by Bekky Bekks on Unsplash

Minderheitengeschlecht & Wählerliste: Besonderheiten im Hinblick auf das Dritte Geschlecht.

Die Betriebsratswahl 2022 steht in den Startlöchern. Vielerorts sind bereits Wahlvorstände bestellt, die sich mit einer Vielzahl von gesetzlichen Änderungen konfrontiert sehen. Sei es aufgrund des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes oder der Änderung der darauf aufbauenden Wahlordnung. (Wir berichteten: https://the-ewcc.de/aenderung-der-wahlordnung-im-ueberblick)

Eine Regelung hat der Gesetzgeber bislang jedoch überraschenderweise unangetastet gelassen. § 5 WO erstrahlt weiterhin in seiner – nicht nur für juristische Laien – schwer verständlichen Form. Dort heißt es unter anderem:

„Der Wahlvorstand stellt fest, welches Geschlecht von seinem zahlenmäßigen Verhältnis im Betrieb in der Minderheit ist. Sodann errechnet der Wahlvorstand den Mindestanteil der Betriebsratssitze für das Geschlecht in der Minderheit (§ 15 Abs. 2 BetrVG) nach den Grundsätzen der Verhältniswahl. Zu diesem Zweck werden die Zahlen der am Tage des Erlasses des Wahlausschreibens im Betrieb beschäftigten Frauen und Männer in einer Reihe nebeneinander gestellt und beide durch 1, 2, 3, 4 usw. geteilt. Die ermittelten Teilzahlen sind nacheinander reihenweise unter den Zahlen der ersten Reihe aufzuführen, bis höhere Teilzahlen für die Zuweisung der zu verteilenden Sitze nicht mehr in Betracht kommen.“

Die Verschriftlichung von Mathematik hat noch nie komplizierter geklungen. Gleiches gilt im Übrigen für die parallele Vorschrift des § 15 WO.

Ungeachtet der inhaltlichen Komplexität, ist die Formulierung des Gesetzes auch deshalb so überraschend, weil das Bundesverfassungsgericht bereits 2017 den Schutz des sog. Dritten Geschlechts anerkannt hat (Beschluss vom 10.10.2017 – 1 BvR 2019/16). Seit Dezember 2018 besteht in Deutschland die Möglichkeit, bei der Eintragung ins Personenstandsregister neben den Optionen „männlich“ und „weiblich“ auch die Alternative „divers“ anzugeben.

Im Gegensatz dazu scheinen das Betriebsverfassungsrecht sowie die Wahlordnung noch immer von einem mittlerweile überholten, binären Verständnis der Geschlechterordnung (Mann oder Frau) auszugehen. Jedenfalls im Hinblick auf die Berechnungsvorschrift des § 5 Abs. 1 WO. Übersehen werden darf dabei gewiss nicht, dass die Ausgangsregelung des § 15 Abs. 2 WO als solche geschlechtsneutral formuliert ist. Danach soll das „Geschlecht in der Minderheit“ seinem zahlenmäßigen Verhältnis entsprechend im Betriebsrat vertreten sein.

Aufgrund der offenen Formulierung des § 15 Abs. 2 WO sowie der bislang fehlenden Rechtsprechung haben sich unterschiedliche Meinungen entwickelt, wie mit dem Dritten Geschlecht im Rahmen der Betriebsratswahl umzugehen ist. Einerseits wird vertreten, das Dritte Geschlecht dürfe erst berücksichtigt werden, wenn aufgrund seines zahlenmäßigen Verhältnisses in der Belegschaft mindestens ein Betriebsratssitz auf dieses entfallen würde. Andererseits wird empfohlen, die beiden Geschlechter in der Minderheit „zu einem einheitlichen Geschlecht“ zu addieren.

Müssen sich die Wahlvorstände jetzt also entscheiden, welche Meinung sie überzeugender finden? Oder handelt es sich hier letztlich um eine theoretische Diskussion ohne praktische Relevanz?

Folgendes Beispiel sollte hier Aufschluss geben:

In einem Betrieb sind 78 Arbeitnehmende beschäftigt. Der zu wählende Betriebsrat besteht daher aus fünf Mitgliedern. Unter den 78 Arbeitnehmenden sind 73 Frauen und fünf Männer. Gemäß § 5 WO sind die jeweilige Anzahl der beschäftigten Frauen bzw. Männer durch 1, 2, 3 usw. zu teilen und die besetzenden Sitze anhand der errechneten Höchstzahlen zu vergeben. Danach ergibt sich folgende mathematische Rechnung:

  Männer Höchstzahl Frauen Höchstzahl
1 5 : 1 5 73 : 1 73
2 5 : 2 2,5 73 : 2 36,5
3 5 : 3 1,66 73 : 3 24,33
4 5 : 4 1,25 73 : 4 18,25
5 5 : 5 1 73 : 5 14,6

Die fünf größten Höchstzahlen entfallen allesamt auf das weibliche Geschlecht. Daher muss auf das Minderheitengeschlecht der Männer im Rahmen der Betriebsratswahl kein Sitz entfallen.

Hinweis: Entgegen eines weit verbreiteten Mythos bedeutet Minderheitenschutz nicht automatisch, dass das Geschlecht in der Minderheit zwingend ein Sitz im Betriebsrat erhält. Hier geht es ausschließlich um die Berechnung nach dem d’Hondtschen Höchstzahlverfahren.

Das Rechenbeispiel verdeutlicht, dass bei einer sehr geringen Anzahl an Arbeitnehmenden eines bestimmten Geschlechts im Vergleich zu dem anderen bzw. den gegebenenfalls anderen beiden im Betrieb vertretenen Geschlechtern, das Geschlecht in der Minderheit häufig keinen Betriebsratssitz für sich beanspruchen kann.

Vor dem Hintergrund, dass sich bis September 2020 lediglich 394 Menschen für die Geschlechtseintragung „divers“ entschieden oder den Eintrag offen gelassen haben, dürfte das Dritte Geschlecht zum jetzigen Zeitpunkt regelmäßig keine Auswirkung auf die Verteilung der Sitze im Rahmen der Betriebsratswahl haben.

Auch eine etwaige Addition der beiden Geschlechter in der Minderheit zu einem „einheitlichen Ergebnis“ würde in der Regel kein anderes Ergebnis mit sich bringen. Da sich dem Gesetz für diese Vorgehensweise jedoch keinerlei Anhaltspunkte entnehmen lassen und das Zusammenfassen zweier Geschlechter zu einem einheitlichen Minderheitengeschlecht dem Gesichtspunkt der Diversität entgegenstehen dürfte, sollte die Berechnung der Mindestsitze für jedes der im Betrieb vertretenen Geschlechter gesondert durchgeführt werden.

Hinweis: Im Rahmen der im Betrieb bekanntzugebenden Unterlagen (insbesondere der Wählerliste) ist das Dritte Geschlecht selbstverständlich ebenfalls ordnungsgemäß zu berücksichtigen. Gemäß § 2 Abs. 1 WO hat der Wahlvorstand „eine Liste der Wahlberechtigten (Wählerliste), getrennt nach den Geschlechtern, aufzustellen“. Ein etwaiger Fehler kann in diesem Zusammenhang zur Anfechtbarkeit führen. Daher muss jeder Wahlvorstand die dem Arbeitgeber vorliegenden Informationen einholen, damit die Wahl gelingt. Dabei kann diesseits nur viel Erfolg gewünscht werden.

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